Dienstag, 22. Dezember 2015

Grenzbetrieb Wegscheid - Teil II

Den Anfang verpasst? Hier kommst Du zu Teil I!

...Gegen Mittag wurde das Kleiderzelt geschlossen, denn die Essensausgabe sollte bald losgehen. Es wurden sechs neue Busse mit hungrigen Passagieren erwartet.

Ich machte mich auf den Weg zum Hauptzelt und fand mich vor Unmengen an Kisten mit Bananen, hoch aufgestapelte Europaletten mit Wasserflaschen und einem Container mit Einwegdecken wieder. 



Das Hauptzelt bestand aus zwei Teilen. Der hintere Teil wurde zu einer Küche und Aufbewahrungsstätte umfunktioniert. Zwei Männer und eine Frau standen mit überdimensionalen Kochlöffeln vor dampfenden, brusthohen Kochbehältern – heute sollte es Gemüseeintopf geben. Die Essensausgabe begann kurze Zeit später und die Helfer*innen standen getreu einer Löschkette nebeneinander und jeder übernahm einen Teil der Ausgabe: Chai Tee – Löffel – Eintopf – Brot – Banane – Wasser.
Ich war für die Bananenausgabe zuständig, doch als die Männer, Frauen und Kinder mit Sack und Pack bei mir ankamen hatten sie meist keine Hände mehr für die Banane, geschweige denn die Flasche Wasser frei. Also hingen eine weitere Helferin und ich mit Banane und Wasserflasche bewaffnet über dem Biertisch und schoben diese in Jackentaschen, Rucksäcke oder drückten sie den Kleinsten der Familien in die Hände. Bei einem Blick aus dem Zelt musste ich feststellen, dass die Schlange der Hungrigen wahrscheinlich fast 100 Meter weit aus dem Zelt hinausragte und ich hatte Sorge, dass nicht genug für alle da sein würde.
Drei Stunden schien der Andrang immer noch kaum ein Ende zu finden, doch das Essen ging glücklicherweise nicht aus und so bekam jeder Etwas und für die kleinen Zwerge gab es ein Fläschchen und eine frische Windel. Ich wickelte teilweise nur wenige Wochen alte Babys und die Frauen waren kaum älter als ich. Einige werden ihre Neugeborenen wohl auf der Flucht geboren haben – für mich fast unvorstellbar.
Es wurde langsam dämmrig und ich war müde von dem Tag. Die körperliche Tätigkeit war nicht sonderlich anstrengend gewesen, doch die zahlreichen Eindrücke und Erfahrungen hatten mich erschöpft. Deshalb verabschiedete ich mich bei den Helfern und Helferinnen und machte mich auf den Weg zu meinem Auto, als mich eine Frau mit einem kleinen Mädchen aufhielt. Die Mutter und ihre Tochter waren aus dem Iran geflohen und seit zwei Wochen unterwegs. Die Kleine trug eine komplett zerrissene Hose und die Schuhsolen ihrer Schuhe waren nicht mehr vorhanden - natürlich bin ich nicht gefahren. Das Kleiderzelt hatte nochmal geöffnet und die Menschen drängten sich dicht an den umgrenzenden Zaun. Ich schlängelte mich in den Kindercontainer und suchte eine Hose und neue Schuhe für die Kleine. Dabei blieb es natürlich nicht, denn immer wieder wurde ich um Hilfe gebeten und konnte diese nicht ablehnen. Nach zwei weiteren Stunden saß ich dann wirklich im Auto und machte mich auf den Weg zurück nach Passau.

Ich hoffe sehr, dass jeder dieser Menschen bald an dem Ort ankommt, an dem er bleiben darf, damit ihrem Leben endlich ein Stück Normalität und Sicherheit zuteil wird. Ein Privileg, mit dem ich aufgewachsen bin und das ich jeden Tag genießen darf.

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