Mittwoch, 23. Dezember 2015

Pläne im neuen Jahr

Am 15.01.2016 ist es endlich soweit. Nach einiger Zeit der Planung werden wir Anfang des nächsten Jahres in Kooperation mit der Gruppe "Welcome Dinner Passau" ein Abendessen für Geflüchtete und Deutsche veranstalten.

Vor einigen Wochen habe ich von der Idee des sogenannten "Welcome dinners" in München erfahren und war sofort begeistert. Dabei laden Einheimische einige Flüchtlinge zu sich nach Hause zum Essen ein. Ein Austausch zwischen den Kulturen soll entstehen, man lacht, trinkt und isst zusammen. Schnell war uns klar, wir möchten etwas ähnliches selbst planen, beziehungsweise die Idee weiter verbreiten.  

Unser Event im Januar ist eine Auftaktveranstaltung und findet deshalb nicht wie sonst üblich in den vier Wänden der Teilnehmer statt, sondern im Gasthaus "Innbräu" in der Passauer Innstadt, dessen Betreiber uns tatkräftig unterstützt.


Wir möchten uns schon jetzt für die tolle Zusammenarbeit mit der Gruppe "Welcome Dinner Passau" bedanken und natürlich auch bei den Leuten vom Innbräu, ohne deren Hilfe diese Veranstaltung gar nicht möglich sein würde. Wir erhoffen uns einen tollen Abend, auf den noch viele weitere folgen sollen. Fotos und ein ausführlicher Bericht werden natürlich noch folgen!


Dienstag, 22. Dezember 2015

Grenzbetrieb Wegscheid - Teil II

Den Anfang verpasst? Hier kommst Du zu Teil I!

...Gegen Mittag wurde das Kleiderzelt geschlossen, denn die Essensausgabe sollte bald losgehen. Es wurden sechs neue Busse mit hungrigen Passagieren erwartet.

Ich machte mich auf den Weg zum Hauptzelt und fand mich vor Unmengen an Kisten mit Bananen, hoch aufgestapelte Europaletten mit Wasserflaschen und einem Container mit Einwegdecken wieder. 



Das Hauptzelt bestand aus zwei Teilen. Der hintere Teil wurde zu einer Küche und Aufbewahrungsstätte umfunktioniert. Zwei Männer und eine Frau standen mit überdimensionalen Kochlöffeln vor dampfenden, brusthohen Kochbehältern – heute sollte es Gemüseeintopf geben. Die Essensausgabe begann kurze Zeit später und die Helfer*innen standen getreu einer Löschkette nebeneinander und jeder übernahm einen Teil der Ausgabe: Chai Tee – Löffel – Eintopf – Brot – Banane – Wasser.
Ich war für die Bananenausgabe zuständig, doch als die Männer, Frauen und Kinder mit Sack und Pack bei mir ankamen hatten sie meist keine Hände mehr für die Banane, geschweige denn die Flasche Wasser frei. Also hingen eine weitere Helferin und ich mit Banane und Wasserflasche bewaffnet über dem Biertisch und schoben diese in Jackentaschen, Rucksäcke oder drückten sie den Kleinsten der Familien in die Hände. Bei einem Blick aus dem Zelt musste ich feststellen, dass die Schlange der Hungrigen wahrscheinlich fast 100 Meter weit aus dem Zelt hinausragte und ich hatte Sorge, dass nicht genug für alle da sein würde.
Drei Stunden schien der Andrang immer noch kaum ein Ende zu finden, doch das Essen ging glücklicherweise nicht aus und so bekam jeder Etwas und für die kleinen Zwerge gab es ein Fläschchen und eine frische Windel. Ich wickelte teilweise nur wenige Wochen alte Babys und die Frauen waren kaum älter als ich. Einige werden ihre Neugeborenen wohl auf der Flucht geboren haben – für mich fast unvorstellbar.
Es wurde langsam dämmrig und ich war müde von dem Tag. Die körperliche Tätigkeit war nicht sonderlich anstrengend gewesen, doch die zahlreichen Eindrücke und Erfahrungen hatten mich erschöpft. Deshalb verabschiedete ich mich bei den Helfern und Helferinnen und machte mich auf den Weg zu meinem Auto, als mich eine Frau mit einem kleinen Mädchen aufhielt. Die Mutter und ihre Tochter waren aus dem Iran geflohen und seit zwei Wochen unterwegs. Die Kleine trug eine komplett zerrissene Hose und die Schuhsolen ihrer Schuhe waren nicht mehr vorhanden - natürlich bin ich nicht gefahren. Das Kleiderzelt hatte nochmal geöffnet und die Menschen drängten sich dicht an den umgrenzenden Zaun. Ich schlängelte mich in den Kindercontainer und suchte eine Hose und neue Schuhe für die Kleine. Dabei blieb es natürlich nicht, denn immer wieder wurde ich um Hilfe gebeten und konnte diese nicht ablehnen. Nach zwei weiteren Stunden saß ich dann wirklich im Auto und machte mich auf den Weg zurück nach Passau.

Ich hoffe sehr, dass jeder dieser Menschen bald an dem Ort ankommt, an dem er bleiben darf, damit ihrem Leben endlich ein Stück Normalität und Sicherheit zuteil wird. Ein Privileg, mit dem ich aufgewachsen bin und das ich jeden Tag genießen darf.

Samstag, 12. Dezember 2015

Grenzbetrieb Wegscheid - Teil I

Um 10 Uhr werde ich erwartet. Mein Weg führt mich heute nach Wegscheid/Hanging an der deutsch-österreichischen Grenze. Der meist frequentierte Grenzübergang im Umkreis Passaus. Alles ist schon mehrere hundert Meter vor dem Lager abgesperrt und mit reichlich Polizei abgesichert. Mein Auto wird zweimal an der jeweils nächsten Polizeikontrolle per Walkie-Talkie angekündigt und ich rolle im Schritttempo in Richtung der sich vor mir auftürmenden Zeltlandschaft.

Als erstes werde ich im Kleiderzelt gebraucht. Ein Zelt ist für die Erwachsenenkleidung, ein kleinerer Container für die Kindersachen und einer für Schuhe vorgesehen. Es wird langsam kalt bei uns und deshalb greifen die Menschen auch zuerst zu den dicken Jacken und Pullis. Doch die Strapazen der letzten Wochen und Monate haben die Geflüchteten dünn werden lassen und gerade die Männer haben Schwierigkeiten in der Auswahl an XL oder XXL etwas Passendes zu finden. Alle sehen es mit Humor. Einer sagt zu mir gewandt, „Germany, they are biiiig“, und lacht. Ich muss auch lachen und denke sofort an eine gesellige Wirtshausstube mit Bier, Schweinshax’n und Knödl. Ja, dem ein oder anderen würde ein Bierbauch bestimmt gut stehen. Etwas zieht an meinem Jackenärmel und ich höre ein „Sorry Ma’m, shoes please?“ Ich sehe an ihm hinunter. Mich schüttelt es alleine beim hinsehen - der arme Kerl trägt durchgelaufene Flip-Flops. Und ich stehe da mit zwei Pullis, Jacke, Schal, Jeans und Winterstiefel... Der Schuhcontainer gab leider nicht allzu viel her, da, laut einer weiteren Helferin, dieser junge Mann nicht der Einzige sei, der seine Flucht in Flip Flops antreten musste. Gängige Schuhgrößen für Männer waren alle vergriffen. Ähnlich geht es die nächsten zwei Stunden weiter. Männer, Frauen, und dutzende kleine Kinder bis hin zu Neugeborenen brauchen neue und warme Kleidung. Es wird angezogen, ausgezogen, anprobiert und gerade die Kleinsten tragen oftmals vor Dreck starrende Klamotten und ich bin richtig erleichtert ihnen frische Sachen anziehen zu können...



Mittwoch, 9. Dezember 2015

"Mia san ned nur mia"

"Mia san ned nur Mia"-ein Konzert im Herzen Passaus für diejenigen, die schon seit Monaten alles dafür tun die Flüchtlinge in Deutschland willkommen zu heißen. Ein Konzert für die Helfer. Um eben diesen Menschen einmal "Danke" zu sagen.


Eine schöne Idee, wie ich finde. Bei Facebook wurde ich zu der Veranstaltung am Residenzplatz eingeladen. Über 200 Leute hatten bereits per Mausklick zugesagt... mein Interesse war geweckt!

Den Residenzplatz kennt in Passau wirklich jeder. Umso schöner ist der Anblick der sich mir an diesem Donnerstagabend bietet. Voll gepackt ist der Platz, mittendrin ein großer Glühweinstand. Der wird auch gebraucht, ungewöhnlich kalt ist es in dieser Nacht. Doch das hält die Menschen nicht davon ab zu feiern, zu trinken und mitzusingen. Ich treffe meine Freundinnen, wir unterhalten uns während der Musiker Alex Diehl anfängt zu singen. Angeblich ist eines seiner Lieder ein großer Youtube-Hit. Es folgen weitere Künstler. Von HipHop bis zu Indie oder auch moderner Volksmusik, alles ist dabei

Aufmerksam werde ich, als auf einmal andersartige Klänge zu hören sind. Khalid, ein junger Afghane der seit einem Jahr in Deutschland lebt, beginnt auf seiner Muttersprache zu singen. Ohne musikalische Unterstützung wiederholt er immer wieder ein und dieselbe Melodie. Unwillkürlich muss ich schmunzeln. Da auf dieser Bühne in Niederbayern bei Minusgraden steht ein Afghane, viel zu dünn angezogen und singt auf einer Sprache, die wir alle nicht verstehen. Surreal, oder nicht?

Ich habe mich dagegen entschieden die Bands zu bewerten, die an diesem Abend gespielt haben. Die musikalische Darbietung war, wie ich finde zweitrangig. Viel wichtiger war der Zusammenhalt den jeder einzelne gespürt hat. Oder wie der Kabarettist Hannes Ringlstetter treffend gesagt hat: "Wir san ned nur mia und mia halten zusammen".



Sonntag, 29. November 2015

+++ SMS-Alarm +++ Teil III

Den Anfang verpasst? Hier kommst du zu Teil I!

Wir schenken unermüdlich Wasser und schwarzen Tee aus, die Kinder bekommen Milch. Zu jedem Teller Eintopf eine Semmel, Nachschlag gibt es nicht. 1.600 Portionen später ist der Topf leer, doch die Schlange geht noch immer bis vor die Tür. Das Team hinter der Theke improvisiert und so bekommt der Rest der Hungrigen Semmeln und Krapfen zum Mittagessen (für den nicht-bayerischen Volksmund: Brötchen und Berliner). Niemand beschwert sich, alle werden satt. 

Auch lange nachdem jeder Flüchtling etwas zu essen bekommen hat, sind wir ohne Unterbrechung beschäftigt. Von unserem vormals sechs-köpfigen Team sind ein junger Mann und ich übrig geblieben. Wir kochen weiter Tee, bereiten Babyfläschchen vor, geben Windeln heraus und versorgen die Migranten so gut wir können. 

Unsere Arbeit war weder geistig anspruchsvoll, noch körperlich anstrengend, doch als ich abends die Halle verlasse und an der Bushaltestelle sitze, bin ich so erschöpft und ausgelaugt, als hätte ich Bergtour und eine 20-seitige Seminararbeit in einem hinter mir. Ich schaue in den wolkenverhangenen Himmel und weiß, ich kann jetzt nachhause. Auf mich warten eine warme Wohnung, ein (manchmal mehr, manchmal weniger) voller Kühlschrank und ein Zimmer, dessen Tür ich schließen kann, wenn ich Zeit für mich brauche. Ich atme die kalte Herbstluft ein und bin nur dankbar, wie gut es mir geht. Der Kloß ist wieder da. 








Blickkontakt



Mein Koffer ist schwer, wieder habe ich viel zu viel eingepackt. Hinter mir liegt ein wunderschönes Wochenende zuhause am Rande von München. Soeben hat mein Vater mich zum Bahnhof gefahren und mich noch einmal lange umarmt. Ich sehe ihm an, dass er traurig ist, dass ich schon wieder fahre. Ich gehe den Bahnsteig entlang, beschäftigt mit meinem Koffer, nehme nichts so richtig wahr. Ich steige ein, setze mich und ordne meine Sachen. 

Da bemerke ich sie das erste Mal. Mein Blick fällt auf eine junge Mutter mit ihren sieben Kindern. Ihrem Aussehen nach zu urteilen, kommt die Familie aus dem nahen Osten. Sie sitzen auf ungemütlichen Metallstühlen am Münchner Bahnhof, direkt an meinem Gleis. Das jüngste Kind schläft auf dem Schoß der Mutter, den Arm weit abgestreckt vom Körper. Es ist ein kleines Mädchen. Abwesend streichelt die Mutter sanft über ihren Kopf.

Soweit ich es richtig sehe, haben glücklicherweise alle warme Klamotten an. Tief haben die Jungen und Mädchen ihre Mützen ins Gesicht gezogen. Sie lachen miteinander, eine alte Frau mit Gehstock und weißem Haar sitzt neben einem der Jungen und spielt mit ihm. Auch wenn sich die alte Frau  nicht mit ihm unterhalten kann, so versucht das ungleiche Paar durch Mimik und Gestik zu kommunizieren. 

Die Mutter der Kinder kann nicht älter als dreißig Jahre alt sein. Ihr schlecht blondiertes Haar ist in einem unordentlichen Knoten nach oben gesteckt, ihr Gesicht zeigt einige Sorgenfalten. Sie wirkt abgekämpft und müde, zeigt aber trotzdem jedem ihrer Kinder ein großes Maß an Zärtlichkeit. Ich kann nicht hören über was sie reden, denn ich sitze ja im Zug. Ohnehin würde ich sie nicht verstehen. Immer wieder ein Lachen. Unwillkürlich muss auch ich schmunzeln.

Wo ist ihr Mann, frage ich mich. Zuvor hatte ich noch drei Polizisten gesehen. Wieso tut niemand etwas, um dieser Familie zu helfen? Ich sitze im Zug und starre sie ungewollt an. Zuerst bemerken sie mich gar nicht, doch kurz bevor wir losfahren habe ich Blickkontakt mit der Mutter. Ich möchte ihr sagen „Ich starre nicht, weil ich euch nicht hier in Deutschland haben will. Ich starre, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie lange ihr schon auf dieser anstrengenden Reise seid. Was ihr gesehen und erlebt habt.“ Doch sagen kann ich ihr das nicht. Stattdessen lächle ich ihr noch ein letztes Mal zu, der Zug beginnt sich langsam in Bewegung zu setzen. Nie werde ich erfahren was mit ihnen geschehen ist. Es ist ein einzelnes Schicksal von vielen. In knapp zwei Stunden komme ich in Passau an, wo mir tausende dieser Schicksale begegnen werden.

Schwarz - Rot - Gold

Montag, 09. November


Es ist mein erstes Mal. Über die facebook-Gruppe „Passau verbindet“ trage ich mich in den Schichtplan der DEKRA-Halle ein, um bei der Essens- und Trinkensausgabe zu helfen.
Nach einer kurzen Einweisung, schaue ich mich ein wenig um. Neben der Essens- und Trinkensausgabe befindet sich eine Malecke für die Kinder. Die Trennwände der Malecke sind dicht bepflastert mit Gemaltem. Die Bilder zeigen unterschiedlichste Motive: „I love you“, Herzen, afghanische Flaggen, deutsche Flaggen, „Thank you Germany“. Ein Bild zeigt ein großes weinendes Auge und am Rand steht „I love you Syria“. Ich frage mich wer diese Kinder und Jugendlichen waren, die diese Bilder gemalt haben. Was haben sie in den letzten Wochen erlebt? Was erhoffen sie sich? Was vermissen sie? Waren sie alleine oder zusammen mit ihren Familien?
Ein kleiner Junge kommt schüchtern um die Ecke und geht bedächtig an den Malereien der Kinder vorbei, die vor ihm die Ankunft in Deutschland, in dieser Halle hinter sich gebracht haben. Hin und wieder bleibt er stehen und streicht dann sanft über das Bild. 




Ich setze mich zu ihm, ziehe meine Handschuhe aus, denn ich fühle mich ein wenig befangen mit diesen blau-leuchtenden Hygienehandschuhen. Sein Name ist Nazir. Ich bringe ihm einen Becher Wasser und frage ihn wie alt er ist und mit wem er hier ist. Grinsend zeigt der kleine Junge mir sieben Finger und sagt: „mâdar, barâdar“ – Mama und Bruder.
Behutsam greift er in die Schachtel mit dem Papier und scheint über die Auswahl nicht sehr erfreut zu sein, denn alle Blätter sind auf der Rückseite mit einer Firmengrafik bedruckt. Mit Händen und Füßen mache ich ihm klar, dass es leider nichts anderes gibt. Wenn ich daran denke, was dann passiert ist muss ich immer noch schmunzeln. Nazir sagt etwas in seiner Muttersprache, (Ich habe später gegoogelt: in Afghanistan werden insgesamt bis zu 49 Sprachen gesprochen. Der Großteil der Bevölkerung spricht allerdings Dari, die umgangssprachliche Bezeichnung für persisch) doch ich verstehe natürlich kein Wort von dem was er will. Ich biete ihm alles an. Andere Stifte vielleicht? Das falsche Papier? Essen, Trinken, Toilette? Er schnauft einmal resigniert. Dann legt er seine kleine, olivfarbene Hand vorsichtig auf das Papier und versucht eine Linie zu zeichnen – und da geht mir ein Licht auf. Er wollte ein Lineal! Ich falte ein paar der alten Blätter, um ihm ein provisorisches Lineal bieten zu können. Dankbar lächelt er mich an und trennt das untere Drittel behutsam durch eine Linie ab. Ah, denke ich mir, vielleicht möchte er die afghanische Flagge zeichnen, die habe ich hier schon von einigen anderen Bildern begutachten dürfen. Aber Nazir ist schneller, als ich meinen Gedanken zu Ende führen konnte. Er greift nach einem gelben Wachsmalstift und fängt in penibelster Feinarbeit an das Feld auszumalen. Kein Strich geht daneben und das Bild leuchtet bald in einem kräftigen gelb. Nun greift er in die Kiste und zieht einen roten Stift hervor; Schwarz – Rot – Gold. Ich glaube ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Deutschlandflagge gezeichnet...