Montag, 09. November
Es ist mein erstes Mal. Über die facebook-Gruppe „Passau verbindet“ trage ich mich in den Schichtplan der DEKRA-Halle ein, um bei der Essens- und Trinkensausgabe zu helfen.
Nach
einer kurzen Einweisung, schaue ich mich ein wenig um. Neben der Essens- und
Trinkensausgabe befindet sich eine Malecke für die Kinder. Die Trennwände der
Malecke sind dicht bepflastert mit Gemaltem. Die Bilder zeigen
unterschiedlichste Motive: „I love you“, Herzen, afghanische Flaggen, deutsche
Flaggen, „Thank you Germany“. Ein Bild zeigt ein großes weinendes Auge und am
Rand steht „I love you Syria“. Ich frage mich wer diese Kinder und Jugendlichen
waren, die diese Bilder gemalt haben. Was haben sie in den letzten Wochen
erlebt? Was erhoffen sie sich? Was vermissen sie? Waren sie alleine oder
zusammen mit ihren Familien?
Ein
kleiner Junge kommt schüchtern um die Ecke und geht bedächtig an den Malereien
der Kinder vorbei, die vor ihm die Ankunft in Deutschland, in dieser Halle
hinter sich gebracht haben. Hin und wieder bleibt er stehen und streicht dann
sanft über das Bild.
Ich
setze mich zu ihm, ziehe meine Handschuhe aus, denn ich fühle mich ein wenig
befangen mit diesen blau-leuchtenden Hygienehandschuhen. Sein Name ist Nazir.
Ich bringe ihm einen Becher Wasser und frage ihn wie alt er ist und mit wem er
hier ist. Grinsend zeigt der kleine Junge mir sieben Finger und sagt: „mâdar,
barâdar“ – Mama und Bruder.
Behutsam
greift er in die Schachtel mit dem Papier und scheint über die Auswahl nicht
sehr erfreut zu sein, denn alle Blätter sind auf der Rückseite mit einer
Firmengrafik bedruckt. Mit Händen und Füßen mache ich ihm klar, dass es leider
nichts anderes gibt. Wenn ich daran denke, was dann passiert ist muss ich immer
noch schmunzeln. Nazir sagt etwas in seiner Muttersprache, (Ich habe später
gegoogelt: in Afghanistan werden insgesamt bis zu 49 Sprachen gesprochen. Der
Großteil der Bevölkerung spricht allerdings Dari, die umgangssprachliche
Bezeichnung für persisch) doch ich verstehe natürlich kein Wort von dem was er
will. Ich biete ihm alles an. Andere Stifte vielleicht? Das falsche Papier?
Essen, Trinken, Toilette? Er schnauft einmal resigniert. Dann legt er seine
kleine, olivfarbene Hand vorsichtig auf das Papier und versucht eine Linie zu
zeichnen – und da geht mir ein Licht auf. Er wollte ein Lineal! Ich falte ein
paar der alten Blätter, um ihm ein provisorisches Lineal bieten zu können.
Dankbar lächelt er mich an und trennt das untere Drittel behutsam durch eine
Linie ab. Ah, denke ich mir, vielleicht möchte er die afghanische Flagge
zeichnen, die habe ich hier schon von einigen anderen Bildern begutachten
dürfen. Aber Nazir ist schneller, als ich meinen Gedanken zu Ende führen
konnte. Er greift nach einem gelben Wachsmalstift und fängt in penibelster
Feinarbeit an das Feld auszumalen. Kein Strich geht daneben und das Bild
leuchtet bald in einem kräftigen gelb. Nun greift er in die Kiste und zieht
einen roten Stift hervor; Schwarz – Rot – Gold. Ich glaube ich habe in meinem
ganzen Leben noch nie eine Deutschlandflagge gezeichnet...
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