Sonntag, 29. November 2015

Schwarz - Rot - Gold

Montag, 09. November


Es ist mein erstes Mal. Über die facebook-Gruppe „Passau verbindet“ trage ich mich in den Schichtplan der DEKRA-Halle ein, um bei der Essens- und Trinkensausgabe zu helfen.
Nach einer kurzen Einweisung, schaue ich mich ein wenig um. Neben der Essens- und Trinkensausgabe befindet sich eine Malecke für die Kinder. Die Trennwände der Malecke sind dicht bepflastert mit Gemaltem. Die Bilder zeigen unterschiedlichste Motive: „I love you“, Herzen, afghanische Flaggen, deutsche Flaggen, „Thank you Germany“. Ein Bild zeigt ein großes weinendes Auge und am Rand steht „I love you Syria“. Ich frage mich wer diese Kinder und Jugendlichen waren, die diese Bilder gemalt haben. Was haben sie in den letzten Wochen erlebt? Was erhoffen sie sich? Was vermissen sie? Waren sie alleine oder zusammen mit ihren Familien?
Ein kleiner Junge kommt schüchtern um die Ecke und geht bedächtig an den Malereien der Kinder vorbei, die vor ihm die Ankunft in Deutschland, in dieser Halle hinter sich gebracht haben. Hin und wieder bleibt er stehen und streicht dann sanft über das Bild. 




Ich setze mich zu ihm, ziehe meine Handschuhe aus, denn ich fühle mich ein wenig befangen mit diesen blau-leuchtenden Hygienehandschuhen. Sein Name ist Nazir. Ich bringe ihm einen Becher Wasser und frage ihn wie alt er ist und mit wem er hier ist. Grinsend zeigt der kleine Junge mir sieben Finger und sagt: „mâdar, barâdar“ – Mama und Bruder.
Behutsam greift er in die Schachtel mit dem Papier und scheint über die Auswahl nicht sehr erfreut zu sein, denn alle Blätter sind auf der Rückseite mit einer Firmengrafik bedruckt. Mit Händen und Füßen mache ich ihm klar, dass es leider nichts anderes gibt. Wenn ich daran denke, was dann passiert ist muss ich immer noch schmunzeln. Nazir sagt etwas in seiner Muttersprache, (Ich habe später gegoogelt: in Afghanistan werden insgesamt bis zu 49 Sprachen gesprochen. Der Großteil der Bevölkerung spricht allerdings Dari, die umgangssprachliche Bezeichnung für persisch) doch ich verstehe natürlich kein Wort von dem was er will. Ich biete ihm alles an. Andere Stifte vielleicht? Das falsche Papier? Essen, Trinken, Toilette? Er schnauft einmal resigniert. Dann legt er seine kleine, olivfarbene Hand vorsichtig auf das Papier und versucht eine Linie zu zeichnen – und da geht mir ein Licht auf. Er wollte ein Lineal! Ich falte ein paar der alten Blätter, um ihm ein provisorisches Lineal bieten zu können. Dankbar lächelt er mich an und trennt das untere Drittel behutsam durch eine Linie ab. Ah, denke ich mir, vielleicht möchte er die afghanische Flagge zeichnen, die habe ich hier schon von einigen anderen Bildern begutachten dürfen. Aber Nazir ist schneller, als ich meinen Gedanken zu Ende führen konnte. Er greift nach einem gelben Wachsmalstift und fängt in penibelster Feinarbeit an das Feld auszumalen. Kein Strich geht daneben und das Bild leuchtet bald in einem kräftigen gelb. Nun greift er in die Kiste und zieht einen roten Stift hervor; Schwarz – Rot – Gold. Ich glaube ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Deutschlandflagge gezeichnet...

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