Mein Koffer ist schwer, wieder habe ich viel zu viel
eingepackt. Hinter mir liegt ein wunderschönes Wochenende zuhause am Rande von
München. Soeben hat mein Vater mich zum Bahnhof gefahren und mich noch einmal
lange umarmt. Ich sehe ihm an, dass er traurig ist, dass ich schon wieder
fahre. Ich gehe den Bahnsteig entlang, beschäftigt mit meinem Koffer, nehme
nichts so richtig wahr. Ich steige ein, setze mich und ordne meine Sachen.
Da
bemerke ich sie das erste Mal. Mein Blick fällt auf eine junge Mutter mit ihren
sieben Kindern. Ihrem Aussehen nach zu urteilen, kommt die Familie aus dem
nahen Osten. Sie sitzen auf ungemütlichen Metallstühlen am Münchner Bahnhof,
direkt an meinem Gleis. Das jüngste Kind schläft auf dem Schoß der Mutter, den
Arm weit abgestreckt vom Körper. Es ist ein kleines Mädchen. Abwesend
streichelt die Mutter sanft über ihren Kopf.
Soweit ich es richtig sehe, haben glücklicherweise alle
warme Klamotten an. Tief haben die Jungen und Mädchen ihre Mützen ins Gesicht
gezogen. Sie lachen miteinander, eine alte Frau mit Gehstock und weißem Haar sitzt neben einem der Jungen und spielt mit ihm. Auch wenn sich die alte Frau nicht mit ihm unterhalten kann,
so versucht das ungleiche Paar durch Mimik und Gestik zu kommunizieren.
Die
Mutter der Kinder kann nicht älter als dreißig Jahre alt sein. Ihr schlecht
blondiertes Haar ist in einem unordentlichen Knoten nach oben gesteckt, ihr
Gesicht zeigt einige Sorgenfalten. Sie wirkt abgekämpft und müde, zeigt aber
trotzdem jedem ihrer Kinder ein großes Maß an Zärtlichkeit. Ich kann nicht
hören über was sie reden, denn ich sitze ja im Zug. Ohnehin würde ich sie nicht
verstehen. Immer wieder ein Lachen. Unwillkürlich muss auch ich schmunzeln.
Wo ist ihr Mann, frage ich mich. Zuvor hatte ich noch drei
Polizisten gesehen. Wieso tut niemand etwas, um dieser Familie zu helfen? Ich
sitze im Zug und starre sie ungewollt an. Zuerst bemerken sie mich gar nicht,
doch kurz bevor wir losfahren habe ich Blickkontakt mit der Mutter. Ich möchte
ihr sagen „Ich starre nicht, weil ich euch nicht hier in Deutschland haben
will. Ich starre, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie lange ihr schon auf
dieser anstrengenden Reise seid. Was ihr gesehen und erlebt habt.“ Doch sagen
kann ich ihr das nicht. Stattdessen lächle ich ihr noch ein letztes Mal zu, der
Zug beginnt sich langsam in Bewegung zu setzen. Nie werde ich erfahren was mit
ihnen geschehen ist. Es ist ein einzelnes Schicksal von vielen. In knapp zwei
Stunden komme ich in Passau an, wo mir tausende dieser Schicksale begegnen
werden.
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