Brežice
– eine Grenzstadt in Slowenien. Hier leben circa 25 000 Einwohner. Früher hat
die Stadt vor Allem als Erholungsgebiet Besucher angezogen. Doch die syrischen
Flüchtlinge wurden hier alles andere als willkommen geheißen.
Es
ist Montagabend, ich habe mich den ganzen Tag mit anstehenden Uniprojekten
beschäftigt und bin dementsprechend erschöpft. Ich steige die steilen Treppen
hinauf zur Wohnung meiner Freundin Helen. Außer Atem komme ich oben an. Als sie
mir die Tür öffnet, kommt mir ein afrikanisch aussehender Mann entgegen, später
stellt sich heraus, es ist ein äthiopischer Freund von Helen. Die beiden
umarmen sich und sie spricht ihm Mut zu. Lächelnd verabschiedet er sich von
uns. Das ist keineswegs eine untypische Situation, wenn man bei ihr zu Gast
ist. Helen´s Tür ist egal für wen stets offen. Sofort steigt mir der wunderbare
Duft von Essen in die Nase, im Ofen bäckt schon der erste Flammkuchen. Doch
diesesmal bin ich nicht für einen netten Abend unter Freunden hergekommen.
Helen wird mir von ihren Erlebnissen an der slowenisch-kroatischen Grenze
erzählen. Von Leid, Fassungslosigkeit und menschenunwürdigen Zuständen.
Alles
begann damit, dass eine Gruppe von fünf Studentinnen aus Passau nicht mehr
länger zusehen wollte. Sie beschlossen die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Spenden für ihre Reise nach Slowenien kamen schnell zusammen, am Ende waren es
sogar 6000€ und ein Berg an warmen Klamotten für die vielen Flüchtlinge. „Der
ganze Kirchplatz war voller Sachen“, schmunzelt meine Freundin als sie mir
davon erzählt. Zwei Tage hatten sie Zeit um den Trip zu organisieren.
Unwillkürlich muss ich den Kopf schütteln. Dass man in so einer kurzen Zeit so
ein Projekt auf die Beine stellen kann, hätte ich nicht gedacht. Als die Gruppe
schließlich losfährt, hat keiner der Beteiligten eine Ahnung was sie erwarten
wird.
Die
erste Nacht in Brežice ist von purer Fassungslosigkeit geprägt. Helen sieht
Panzer und stark bewaffnete Polizisten in schusssicheren Westen. Einer dieser
Polizisten bietet ihnen an, sie zu einem Feld zu fahren. Auf diesem Feld gibt
es nichts außer sechs Dixi-Klos. Kein Essen, kein Trinken, keine Zelte, in
denen sich Menschen wärmen könnten. Es ist mitten in der Nacht als die fünf
Studentinnen dort eintreffen. Sie sehen 3000 Flüchtlinge, die von
Polizisten zusammengepfercht wurden. „Open the boarders“, schreien manche von
ihnen. Die Männer und Frauen wollen nicht glauben, dass dies ihr Ziel, also
Europa sein soll. Das Ziel wofür sie solche Strapazen auf sich genommen hatten.
Die Menschen verbrennen Blätter, um sich daran wenigstens ein wenig zu wärmen.
Auf diesem Feld werden sie nicht nur eine Stunde verbringen, sondern bis zu
zwei Tage. Helen konnte diesen Anblick nur schwer ertragen. Sachlich erzählt
sie mir, dass sie jedoch in dieser ersten Nacht nicht viel für die
Flüchtlinge tun konnten, denn die Polizei befürchtete, dass es zu einem Tumult
käme, wenn die Gruppe Essen und Trinken in der Menge verteilt. Also heißt
es erst einmal nur abwarten.
Kroatien
und Slowenien wird durch den Fluss Sutla getrennt, die Grenze überschreiten
die Flüchtlinge über eine Brücke. Nachts kommen zahlreiche Züge am
kroatischen Bahnhof an, von dort aus laufen die Menschen noch knapp einen
Kilometer, um auf das Feld zu gelangen. Der Weg ins Camp dauert weitere 12
Kilometer. Die Gruppe aus Passau hat sich inzwischen mit Essenspaketen und
Wasserflaschen an der kroatischen Grenze, dem Bahnhof positioniert. „Auf
einmal strömen bis zu 2000 Leute auf dich zu, und du denkst dir scheiße, die
anderen bekommen gar nichts mehr“. Wild gestikuliert sie, als sie mir von ihren
Erlebnissen erzählt. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf. RESET. Neues Essen
holen und Brote schmieren. Im Akkord bereiten die Helfer alles vor. Pro Nacht
kommen bis zu drei Züge voll mit Menschen an. Leute ohne Kleidung, dafür mit
Kindern in ihrem Armen oder auf ihren Rücken. Ihre Habseligkeiten schnell eingepackt
in nur einem Rucksack. Ein solches Bild kann ich mir gar nicht vorstellen, hier
im behüteten Deutschland.
Wo
Helen anfangs noch sachlich erzählt hat, wird ihre Stimme inzwischen brüchig.
Immer wieder muss sie eine kurze Pause machen. Ich kenne
meine Freundin inzwischen schon lange und ich weiß, dass sie so schnell nichts
aus der Fassung bringt. Schon seit einiger Zeit setzt sie sich für Flüchtlinge
ein, ihr Herz hängt daran, Menschen zu helfen. Doch wenn sie jetzt eine
Waschmaschine hört, bekommt sie eine Gänsehaut. Fährt zusammen. Zu sehr
erinnert sie das Geräusch an die Militärhubschrauber, die über der Szenerie
gekreist sind.
Eine
Wand von Flüchtlingen wird angetrieben von schwer bewaffneten Polizisten. Helen
stampft auf und imitiert das Geräusch, das die Menschenmasse gemacht hat. „Die
Leute werden mit Militär und Gewalt empfangen“- paradoxerweise wollten sie
genau diesen Umständen entfliehen.
Panzer gehören am kroatisch-slowenischem Grenzübergang zur Tagesordnung |
Insgesamt bleiben die
Studentinnen drei Tage am Grenzübergang. Das Feld wird nach starker Kritik
inzwischen nicht mehr als Sammelstelle genutzt. Kurz nachdem Helen wieder in
Deutschland ist, habe ich sie zum Essen getroffen. Damals kam sie mir sehr
gefasst vor. Doch heute weiß ich, dass sie ihre Emotionen verdrängen muss, um
den Alltag zu meistern. Sie muss zur vermeintlichen Normalität zurückkehren. An
der Grenze hatte sie nie geweint oder Schwäche gezeigt. Helen wollte stark sein
für die Menschen. Doch zurück in der sicheren Heimat, bei Freunden und in
Geborgenheit, brach alles aus ihr heraus.. Tagelang hat sie nur geschlafen,
Stück für Stück ihre Akkus wieder aufgeladen. Zurück bleibt ein Gefühl von
Frustration und Resignation.
Ich ziehe meinen Hut vor meiner
Freundin und nicht nur vor ihr. Vor allen Menschen, die der Meinung sind, dass
jeder Einzelne etwas bewirken kann. Die nicht bequem sind und sich denken, dass
sich schon andere darum kümmern werden. Die handeln und nicht nur reden. Denn
es geht um Menschen, die durch die Hölle gegangen sind und es ist das Mindeste,
das wir sie wie unseres gleichen behandeln, in unsere Mitte aufnehmen und ihnen
sagen: Willkommen, schön dass ihr da seid.
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